Habe ich heute morgen am Radio gehört. Gut, die Aussage ist sicher arg verkürzt wiedergegeben, sie fiel im Verlauf eines längeren Gesprächs auf Radio Romande mit einem Redakteur von Le Monde, die eine Art Akademie für neuen Journalismus ins Netz werfen.
11:30
Komme vom Zahnarzt, wo ich mir die Fäden habe ziehen lassen. Muss auf’s WC. Beschliesse, im Café Brésil auf dem Bieler Bahnhofplatz eine Cola zu trinken und zu pissen. Eigentlich in umgekehrter Reihenfolge, doch an der WC-Tür prangt unübersehbar ein filzgeschriebenes Schild: WC 2 Franken für Passanten. Kein Problem, ich will ja was bestellen. Doch die Tür ist verschlossen, meine Frage nach dem Schlüssel wird zuerst mit einem Hinweis auf die Kosten beantwortet, „WC kostet 2 Franken“, posaunt die Buffethilfe durch das Lokal. „Ich will ja was bestellen….“ „Was wollen Sie bestellen?“, gellt es wieder. „Nachher, jetzt muss ich mal“ – doch den Schlüssel würde ich erst kriegen, wenn ich jetzt vor der WC-Tür stehend eine Bestellung abgeben täte. Wo sind wir denn? Ich verlasse das Lokal, bei Guitol’s Atomic Café, gleich nebenan, darf ich zuerst pissen und nachher bestellen
12:00
Pisse noch mal, verlasse dann das Atomic. Kaufe ein Sandwich für unterwegs, in der Bäckerei auf dem Bahnhofplatz. Vollkorn mit Rohschinken – nicht schlecht, zwei Scheiben Rohschinken, Schnittsalat, sonst aber nicht viel mehr. Das kann man mit wenig Aufwand besser machen. Zum Glück habe ich noch ein Tomaten- und ein Olivenbrötli dazu gekauft, die waren mir schon letzte Woche willkommener Proviant, noch am Abend nach Ankunft im Hotel. Heute dieselbe Reise
12:15
Verlade das Velo mit den zwei glücklicherweise wasserdichten Saccochen, gleichzeitig kommt der Rollstuhlfahrer, der jeweils sehr lautstark mit allen Buschauffeuren, Kondukteuren und sonstigem SBB-Personal schwatzt: „Salü, Housi, ou wider do“, brüllt es über das ganze Perron. Ein sehr kommunikativer Mensch. Manchmal auch peinlich, wenn er über die „Ussländer“ herzieht, nachdem er jemanden zuerst in ein Gespräch verwickelt hat.
12:25
Zug fährt, unterwegs nach Bern
12:40
Wo kommen bloss all die Leute her, die in Lyss zusteigen? Wo wollen die bloss hin?
12:46
Ankunft in Bern – am Sieben Ab fährt der Zug nach Brig
12:55
Da ich weiss, dass nun bis Bellinzona keine schlaue Beiz mehr auftaucht, halte ich Ausschau nach einem Kaffee. Ein Segafredo bietet allerhand moderne Kaffeemixgetränke an, diese bescheuerten, aus den USA importierten Modekaffees. Ich muss eine Zeitlang suchen, bis ich in der Mitte der Karte einen gewöhnlichen Kaffee entdecke, Lungo heisst er. Das bestelle ich, und gleichzeitig erschrecke ich – was wird das für ein Gesöff sein, das Lungo heisst? Sicher wässrig. Ich rufe der Bestellung hinterher, er soll nur eine Mezza Lungo machen, vorher zurückziehen.
Keine Antwort. Heisst das nun, er hat es nicht gehört? Ich sehe, der Kaffee wird nicht zurückgezogen. Als es ans Einkassieren geht, reklamiere ich, er habe ja nicht zurückgezogen. Stellt sich heraus, der Kaffeemaschinenbediener hat das Wasser vorher abgestellt. Wieder mal typisch: Man fragt, sagt, bestellt etwas. Antwort kommt keine. Man wiederholt seine Frage, Sage, Bestellung. „Jaja ich habe auch nur zwei Hände“, kommt dann die Antwort, mit Garantie. „Ja, aber kein Maul“, ist man versucht zurückzublaffen.
13:00
Wuchte mich mit meiner glücklicherweise relativ geringen Bagage, dem Velo und dem Kaffee in den Zug. Pisse zuerst mal. Man weiss ja nie, ob dann nicht plötzlich stundenlang besetzt ist.
13:11
Wo bleiben die Rentnerehepaare hier im Zug? So entfällt leider das immer wieder schöne Schauspiel, Wandersleute beginnen ihre Uhren anzustarren, im Minutentakt wird die Verspätung kommentiert. Nichts dergleichen. Würde ich nicht live bloggen, wäre es mir vermutlich nicht aufgefallen: Wir sind mit 4 Minuten Verspätung losgefahren. Kein Wunder, haben die Züge in Brig regelmässig längere Verspätungen.
13:13
Gleich lege ich den Blog weg, um ein bisschen im erst gestern eingekauften Les Strauss-Kahn weiter zu lesen. Auf dem Kindle. Spart mir wieder mal mindestens zwei Kilo Gepäck, ich werde ja eine ganze Woche im Tessin sein, fernab jeglicher Lesekultur. Bellinzona hat zwar zwei Buchhandlungen, darunter die legendäre Libreria Casagrande, aber liest offenbar nur italienisch. Ich halt nicht.
13:25
Da die 3G-Verbindung nun schon mal steht, schaue ich schnell noch bei 6-vor-9 vorbei. Sechs ‚handverlesene‘ Links. Wie so oft wird kalter Käse serviert, den Spiegel-Artikel über Lothar Matthäus habe ich schon am Freitag über Rivva gelesen. Zudem stelle ich mir unter ‚handverlesenen Links‘ etwas anderes vor als Hinweise auf Artikel in Spiegel, Stern, Taz, Heise oder gar Verlinkungen von Videos. Von sechs Links zeigt heute nur genau einer auf einen Blog, magere Ausbeute, aber so ist es in letzter Zeit oft.
Bei Rivva ist es nicht viel besser. Auch dort wird immer mehr auf die grossen Verlage verlinkt. Als ob ich nicht selber in der Lage wäre, periodisch die einschlägigen Adressen von Spiegel Stern pipapo abzuklappern. Die Lage scheint wirklich verzweifelt: Am Samstag etwa war dort an prominentester Stelle, ganz oben, ein Blog verlinkt, wo eine Karin Friedli ihre Absicht kund tut, nun jeden Tag einen Gegenstand loszuwerden. Spannend…. Ri vadis?
Wenn mal was interessantes auftaucht, verschwindet es gleich wieder, so scheint es. Das war am Wochenende bei Rivva angezeigt, als ich es lesen wollte, schon gelöscht. Warum wohl? Habe es dann im Google-Cache gelesen, jetzt verstehe ich noch weniger, warum es gelöscht worden ist. Hype? Teaser? Honeypot?
13:45
Die Verbindung wird kritisch, immer wieder fällt sie ins langsame Edge zurück. Sind halt in den Bergen, bei Spiez. Wie das wohl die Live bloggenden Journalisten machen werden, in so einem Fall, Bericht von einem Bahnreisli mit Alt-Bundesrat Adolf Ogi etwa (der in letzter Zeit plötzlich wieder extrem präsent ist, ist wohl was im Busch?)?. – Glücklicherweise macht die Webcam des Notebook kleinste Bilder, ab 3 Kilo. Das hier ist fast doppelt so gross, mit 5 KB.
14:15
Wir kommen in Brig an. Vorher noch schnell beim Mitreisenden mit dem Sony-Reader vorbeigeschaut, um PDF auf dem Gerät auszuchecken. Er hat leider keine. Noch schnell Pissen vor dem Aussteigen.
Will am Bahnhof ein Wasser kaufen. Die Bäckerei im Gebäude hat leider nur Mineral um die 3 Franken. Zudem aus dem Kühlschrank. Muss ich noch mehr pissen. Nein danke. Sowieso, der Preis ist jenseits. Sollen sie an die Japaner verkaufen. Sehe zwar grad keine hier. Ausnahmsweise. Für sie muss die Gegend einfach paradiesisch sein. Kunststück, mir geht es ja genau gleich.
14:23
Unterwegs mit der Matterhorn Oberland Bahn nach Göschenen, das wird jetzt etwa 2 Stunden durch die Berge ruckeln, mit einer nur sporadisch funktionierenden Edge-Verbindung, Kriechspur ins Internet. Mal schauen, ob ich da weiter live bloggen kann.
15:24
Während Dörfli um Dörfli vorbei döst, lese ich in ‚Les Strauss-Kahn‘ – momentan ist DSK abgehalfterter Wirtschaftsminister der Regierung Jospin. Jospins Versprechen, keine Minister unter Anklage weiter zu beschäftigen, wurde eingehalten. Anne Sinclair kauft einen königlichen Palast in Marrakech und lässt ihn über zwei Jahre umbauen. Es muss ein ganz wunderbares Anwesen geworden sein, mit einer kleinen Dienerschaft rund ums Jahr, Brunnen, Becken, Garten – und das alles mitten in der Medina. Atemberaubend muss es auf die noblen Gäste aus Paris gewirkt haben. Ein Trostpreis für ihren Dominique, um sein Comeback in angenehmer Athmosphäre abzuwarten.
Während dieser Zeit werden seine jungen, gewieften Berater in einer PR-Agentur parkiert, eingestellt von den Besitzern, DSK zu Gefallen. Eine Investition in die Zukunft, der Mann ist schliesslich noch nicht abgeschrieben, gestolpert über eine simple Formalie, sozusagen, etwas aus der tristen Sphäre der Kleingeister.
Liest man dies, wie sich ein Klüngel auf die Machtübernahme vorbereitet, ihren Chef vergöttert, sich durch die Nähe selber Bedeutung verschafft – erstaunlich ist dies alles nicht, so läuft es oft, aber total schockierend ist es doch. Wir lesen hier nämlich über Sozialisten. Deren Sozialismus scheint nicht sehr politisch, sondern es ist der Sozialismus einer Carla Bruni: Chic gauchiste. Lifestyle.
Bruni hat ja nach ihrer Heirat mit dem Mann mit den hohen Schuhen für ihren damaligen Sozialimus wenig gute Worte gefunden: Es sei halt ein Cliquending gewesen. Als ob wir das nicht gewusst hätten.
Unsympathische Leute allesamt.
16:14
Man hat den Eindruck, der Zug fahre durch Gebirgstäler, über wilde Bergbäche, vorbei an artenreichen Wiesen, wie ich sie als Kind überall angetroffen habe, um Biel herum. Vielleicht müsste ich wieder mal spazieren gehen, vielleicht sehen ja die Wiesen bei uns auch so aus?
Hier ist typisches Heidiland, „in wenigen Minuten treffen wir in Andermatt ein“. Nass und neblig, dicke Schwaden auf den Bergkuppen wurden zu zähem Brei hier im Tal, Windjackenzeit. Die Kreuze, die an manchem Stein- oder Holzhaus hängen, erinnern uns daran, das ist hier eine Hochburg des Aberglaubens. War es nicht im Wallis, dass kürzlich ein Lehrer seine Stelle verlor, weil er das Kreuz im Schulzimmer abgehängt hatte?
16:47
Ankunft im feuchtkalten Göschenen, der Zug ins Tessin wartet schon, hier drin auch abgestandene Kälte. Ich höre grade von anderen Passagieren, das WC ist zugeklebt. Gut, habe ich noch bei der MOB profitiert.
Wir warten offensichtlich auf den Bus – die Normalstrecke ist ja unterbrochen, der Gotthard wird mit Bussen befahren. Ich bin mit der Bergbahn gefahren, damit ich das Velo mitnehmen kann. Eine andere garantierte Möglichkeit gibt es zurzeit nicht! Ich fahre jetzt diese Strecke zum dritten Mal, der Umweg schreckt mich nicht mehr, es lässt sich halt angenehm lesen, bloggen, träumen, schlafen während dieser fünfeinhalb Stunden.
17:09
Airolo, wir sind wieder in der Zivilisation angelangt. Die ersten Coiffeusen steigen ein: Shorts, Ballerinas, gestrecktes Haar, Tasche in der Armbeuge. Gibt es tatsächlich soviele Arbeitsplätze im Frisörgewerbe?
17:20
Keine Ahnung, wo wir genau sind, aber ich muss mein Glücksgefühl unbedingt hier herausjauchzen: Tessin, deutlich wärmer, alles wird gut.
Im August muss für ein paar Tage nach Avenches und Posieux, ist grad ein Mail eingetrudelt. Scheint nicht einfach zu sein, dort ein günstiges Hotel zu finden. 500 Franken für 4 Übernachtungen ist schon schwer teuer, heute werde ich genau die Hälfte zahlen müssen (gut, noch 20 Franken weniger, 240/4 Nächte….). Vor allem scheint es nicht einfach zu sein, übers Netz ein Bed&Breakfast dort zu finden, ein erster Versuch wirft vor allem Klickfängerseiten aus („Hotels 1 – 5 Sterne“ – in Posieux oder Avenches? Geht’s noch plumper, um mich auf eine Nullresultatsseite zu locken?)