Und in Solothurn dann die totale Ernüchterung – eine mehrere Quadratkilometer weite Betonsteppe legt sich um den Bahnhof. Ich habe das Gefühl durch einen Teller Erbsensuppe zu atmen. Gelberbs mit Speck, normalerweise ein Hochgenuss. Aber jetzt, im Hochsommer, bei wahrscheinlich so 35 Grad nachmittags um drei, jetzt liegt mir der Sinn ganz einfach nach Wasser. Aber aussichtslos, hier in Solothurn SBB einen öffentlichen Wasserhahn zu finden. Zur Sicherheit erkundige ich mich noch bei der schweissgebadeten Schalterbeamtin, um hier niemandem Unrecht zu tun.
Nun, erstaunlich ist es nicht, als Veloverlader lernt man die Zeichen deuten. Und das Zeichen hier ist die Blechtafel beim Eingang, wo stolz geschrieben steht: Mehr Bahnhof in Solothurn. Und darunter nur Shops gelistet werden. Die Toiletten befinden sich in der Unterführung in einem Chromstahlcontainer, 1 Franken muss eingeworfen werden, trotz der hochmodernen Anlage gibt es nicht mal Rückgeld.
Willkommen bei den Abzockern.
Bei der Hitze verlade ich das Velo bis Biel, wo ich heute morgen um 9:00 aufgebrochen bin, um zur Blutspende nach Burgdorf zu fahren. Möglicherweise war das eine Schnapsidee, aber ich hatte den Blutspendebus in Biel und Nidau am letzten Wochenende verpasst und gleichzeitig wollte ich meine erste Tour im abgesteckten Veloland Schweiz machen.
Die Route 24 führt von Biel nach Burgdorf, und ich will es kurz machen: Ich bin hell begeistert. Eigentlich sollte ich die Route ja nicht empfehlen, um ihr nicht eines ihrer Merkmale zu nehmen. Ich war nämlich weitgehend alleine, zumindest auf der ganzen Strecke von Diessbach fast bis nach Lyssbach. Um genau zu sein, fast bis nach 3309 Kernenried. Dort begann wieder die Zivilisation, mit Landmaschinen, den tiefer gelegten Funmobiles der Landjugend und aber auch Stauffer’s Landmetzg. Eine wirklich schöne Metzgerei mit einem grossen Innenhof, wo sogar noch selbst geschlachtet wird. Ich gehe davon aus, dass hier die Tiere nicht kilometerweit transportiert werden. Trotz der Hitze habe ich deshalb den Kauf eines Schwingerschnitzels gewagt, es wird den Transport über mehrere Stunden bestimmt gut überstehen. Auf den afrikanischen Märkten gibt’s schliesslich auch keine Kühlschränke, dort soll das rohe Fleisch auch über mehrere Stunden an den Markständen ausliegen, den Fliegen zur Freude. Man müsse es einfach lange genug kochen, dann sei das überhaupt kein Problem, erzählte eine Freundin aus Burkina Faso. Na also.
Der erste Teil der Strecke bis Dotzigen ist nicht sehr velofreundlich, mit Kindern würde ich bis dorthin den Zug nehmen. Warum ich jetzt grad an Kinder denke? Vielleicht weil eine halbgare Studie kürzlich vor ihrem Abschluss in der NZZ hämische Schlagzeilen gemacht hat, die Velonutzung bei Kindern gehe zurück? NZZ, übrigens, hier neuerdings definitiv unverlinkbar aus Qualitätsgründen. Warum, steht im vorherigen Beitrag auf diesem Blog.
Ab Dotzigen dann bis zur Passhöhe purer Veloweg, durchgehend asphaltiert (wichtig für mein Rennvelo, Feldwege sind Schlauchkiller). Unterwegs die herrlichsten Landschaften und Waldsträsslein, Bibiili und sonstige Tierli, nur leider keine Brünnelein. Oder nur solche mit Warnschildern. Also: genug Wasser mitführen.
In Burgdorf dann das eigentliche Ziel meiner Tour, der Blutspendebus vor dem Einkaufszentrum. Das eher konsternierte Personal gibt mir zu verstehen, dass in meinem Zustand an eine Blutspende nicht zu denken ist. Ich muss wie eine überhitzte Blutwurst kurz vor dem Platzen wirken. Dabei bin ich doch ziemlich gemütlich diese 30 Km in 3 Stunden eher gezuckelt als gefahren. Wir machen dann das Administrative klar (Krankheiten, Medikamente, Lebenswandel, Umgang, Reisen, Operationen, Adresse) – so kann ich dann in Biel im stationären Zentrum nur noch Abzapfen lassen. Den Fragebogen allerdings werde ich bestimmt nochmals ausfüllen müssen. Die Sicherheitsbestimmungen sind unterdessen extrem, der Fragebogen erstreckt sich über zwei gedrängte Spalten. Finde ich gut. Wenn ich das vergleiche mit meiner Beobachtung in Wien, wo in den heruntergekommenen Quartieren ganz gezielt über Plakataktionen Geld gegen Blut geboten wird, hoffe ich auf eine Länderkennzeichnung des Spenderblutes. Denn es ist klar, dass bei einem Blutdeal auch mal gelogen wird, etwa bei den Fragen nach dem Sex der letzten 6 Monate. Haben die in Oesterreich eigentlich keine Ethikkommission?
Ich könnte jetzt noch stundenlang so weiter erzählen, vielleicht auch ein wenig aus Protest gegen die tl;dr-Marotte? (Too long, didn’t read – wird von Langschreibern auch gern als Kurzfassungstag zweckentfremdet, Ironie oder Opportunismus?) Aber dann komme ich ja nicht mehr zum Fahren. Vielleicht später mehr aus einer anderen Veloregion. Ich habe ja diese Velowege bisher unterschätzt, nicht gewusst, dass es solch erfreuliche Routen gibt, wo die Schweiz wirklich noch über Kilometer echtes Gotthelfland ist.
Früher fand ich das bünzlig, heute fehlt es mir.