Bellinzona im Winter ist wahrscheinlich fast schlimmer als Lyss das ganze Jahr. Ruhig, tot, wo im Sommer eine grosse Pizzeria lockte, zeigt sich heute ein leerer Vorplatz, der zu einem Pub gehört. Die hatten offenbar einfach unter dem Vordach mit zusätzlichem Zelt gewirtet. Zum Glück habe ich dort nie gegessen. In einem Pub essen, eine schauderhafte Vorstellung.
Fast so schlimm wie ein Speisewagen der SBB von Starbucks. Die sollen ja bald kommen. Liebe SBB, dann lasst die Speisewagen lieber weiterhin unbedient mitfahren, so wie heute morgen auf der Rückreise, über Olten nach Biel.
Die ich mit Willy Ritschard antrat. So heisst der Zug von Bombardier und Pininfarina, der wahrscheinlich mit grossem Pomp durch einweihungsfrohe Notablen einer gerührten Öffentlichkeit übergeben worden ist.
«Willy Ritschard, Sohn des Ernst und der Anna Ritschard, volksnah, Sozialdemokrat, liebt das Wandern, liebt Gespräche.»
Dies der Refrain des grandiosen Ohrwurms der Zürcher Hertz, 1982 als Single erschienen, der Text soll aus der offiziellen Biographie des damaligen Bundesrats stammen.
Es ist halt so eine Sache mit den Denkmälern. In Frankreich sieht man ja fast in jedem Dorf diese ehemals edlen Tafeln, „Mort pour la France“, darauf die Namen der gefallenen Söhne im ersten und zweiten Weltkrieg. Und öfters als erwartet sind solche anrührenden Ehrenbezeugungen in einem schlechten Zustand, nicht nur ungepflegt, sondern kaputt, Buchstaben fehlen. Oder ist das in Italien? Oder in Deutschland? In der Schweiz?
In der Schweiz kann es ja nicht sein. Schindluder mit der publikumswirksam eingeweihten Erinnerungsstätte wird diskreter betrieben.
Ich denke noch heute angewidert an die Verschleuderung des Legats des Bieler Bäckermeisters Ganz durch die Migros zurück. Dieser noble Mann hat über Jahrzehnte junge Kunst gesammelt und unterstützt und dann seine umfangreiche Sammlung der Migros vermacht. Während Jahren konnte man im Migros Restaurant Madretsch Bieler Kunst aus dem Nachlass Ganz bewundern. Und ich rede hier nicht von Helgen, sondern von Werken unterdessen arrivierter Künstler.
Ganz rotiert bestimmt in seinem Grab. Oder er ist bereits zurück gekommen und hat Rache genommen. Ich weiss nicht um das persönliche Schicksal der Migroskader, die nach dem Umbau des Restaurants die Werke so definitiv entsorgten, dass auf spätere Nachfrage einer Zeitung die Migros nicht sagen konnte, wo Ganz‘ Erbe abgeblieben ist. Da wird wohl mancher sein Schnäppchen gemacht haben. Und Ganz, der seinem Nachlass Öffentlichkeit garantieren wollte, vermodert vergessen und desavouiert. Dermassen vergessen, dass ich nicht mal mehr seinen Namen im Netz finden kann. Darum kann es übrigens sein, dass ich diesen falsch in Erinnerung habe. Die Verluderung seiner Nachlasses durch die Migros aber, die habe ich noch sehr gut im Kopf.
Warum wohl fällt mir diese Geschichte jetzt ein, hier im Zug „Willy Ritschard“ der SBB? Wahrscheinlich, weil sie mir sowieso immer präsent ist, wenn ich ein Migros-Restaurant sehe. Oder generell Kunst im Öffentlichen Raum. Immer wieder hört man in diesem Zusammenhang von plötzlich fehlenden Kostbarkeiten. Sei es. Zurück zu Willy.
Da stehen ja immer so schöne Sprüche in diesen Zügen.
“ Der liebe Gott hat die Welt erschaffen aus dem Nichts, und das schimmert halt immer ein wenig durch. Willy Ritschard“
Das steht hier. Ich tippe zwar eher auf Peter Bichsel als Autor des träfen Zitats. Bichsel, der so manche Ritschard-Rede geschrieben hat.
„Besserwisser gibt es bekanntlich nur einen einzigen Bessermacher. Willy Ritschard“
Das steht auf der anderen Seite des Gangs. Da muss Bichsel irgendwie ein Blackout gehabt haben. Oder versteht jemand diesen Satz?
Ein kurzes Googeln bringt es an den Tag. Der Satz ist aus irgendeinem Grund verstümmelt, es fehlt ein wichtiger Teil. Komisch. Bin ich der erste, der die Sprüche in den Zügen liest? Ist etwas nicht in Ordnung mit mir? Ist das Absicht, um den Besserwisser, der das liest, sofort als Besserwisser zu entlarven, weil er es ja eben besser weiss (bzw. ergoogelt)?
Wahrscheinlich wurde da mal ein Panel ausgewechselt und ein Satzteil beim neu beschriften einfach vergessen. Die Beschriftung hat man vielleicht in China billig neu machen lassen. Niemand hat mal kurz kontrolliert.
Denn nach der Einweihung ist ja so ein Denkmal nur noch ein Kostenfaktor.
Eigentlich sollte mir das ja egal sein. Ist es aber nicht. Denn wenn das Denkmal nur bei der Einweihung interessiert, dann sind mir die Kosten für einen einmaligen Akt zu hoch, der vermutlich vor allem der Beweihräucherung der Einweihenden dient. Denn bezahlt wurde es auch aus meinem Geld.
Steuergeld.
Und es ist mir nicht egal, weil ich solche Heucheleien unerträglich finde.
P.S.: in Olten umgestiegen in den Zug C.F. Ramuz. Ich konnte es mir nicht verkneifen, einen kurzen Blick auf das erstbeste Zitat zu werfen. Und wurde nicht überrascht. Aber wir wollen jetzt nicht auch noch fehlende Buchstaben monieren, das wäre dann doch zu kleinlich. Oder?
PPS: In Facebook einen Gruss von Terrazza Da Teo erhalten, „Danke für den Besuch“ – leider war nur über Mittag geöffnet, da langte es mir nicht für eine der famosen Pizzas/Pizzae/Pizzi wieauchimmer. Die sehr herzliche Begrüssung aber, wie ein Mitglied der Familie, das hat entschädigt.
Bei Tripadvisor habe ich die Pizzeria schon mal gelobt, die Fotos dürftet ihr kennen. Auch das Hotel Moderno, wo ich diesmal wieder zum unschlagbaren Preis sehr gut logierte. Wehe, ich komme das nächste Mal hin und es ist alles durch Leser dieses Blog belegt!