Veloverlad – ein interessante Blog, glaubzmer

22/08/2013

Das Beste am Thurgau ist …. der direkte Zug Weinfelden – Biel

Ich werfe dem ca. 9-jährigen Knaben mein verschwörerisches Velofahrerlächeln zu – der Nachwuchs gehört schliesslich gepflegt, aufgemuntert, motiviert. Sein Rad ist an Vater’s Velo angehängt, man kennt diese ad hoc Tandems. Beide mit Helm. Eine künftige Velodynastie? Da darf ich natürlich nicht blicklos dran vorbei fahren, da wird gegrüsst.

Allein, der Knabe sieht mich gar nicht. Sein Blick geht nach hinten, sehnend, bewundernd, wo irgend ein knallgelber Tiefgelegter, Ferrari oder so, in der Tiefe der Landstrasse verschwindet.

Ein Thurgauer halt. Ein hoffnungsloser Fall, sobald er sich von Vater’s Hinterrad emanzipieren darf.

Kurz vorher die Strasse nach Roggwil (TG), nach einer langgezogenen Linkskurve eines dieser Strassenopfermemorials: Ein Kreuz, vertrocknete Blumen, verdreckte Kerzen, plastifizierte Föteli liegen im Staub („Wir vermissen Dich – Deine Klassenkameraden“). Zwei Daten, 12.12. 1990, 11.9.2011. Ein Name, Nico. Ein Kreuz, RIP. Eine Aufnahme von zwei geilen Autos bei einem wahrscheinlich gestellten Überholmanöver, die Strasse nass. Ein Computerausdruck hängt an der Mauer.

Lieber Gott, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern …..
Gib auch ihnen die Kraft, das Geschehene zu verarbeiten und erfülle ihre Herzen mit Zuversicht, Licht und Liebe. Wir hegen weder Groll noch Vergeltung, wir wünschen uns lediglich, dass wir alle wieder glücklich werden.

Nico’s Wesen soll uns Vorbild sein.

Irgendwo dazwischen noch ein Foto eines besten Freundes, „ich bin so dankbar, dass ich dich kennen lernen durfte“, mit mir unverständlichen Schlagwörtern garniert („Industria automobilia“).

Ganz offensichtlich hat da einer die Kurve nicht erwischt und ist in die Mauer geprallt. Diese sieht aus wie eine Friedhofsmauer, jetzt mit dem Kreuz dran sowieso. Dahinter aber nur irgendein Gelände.

Ob im Thurgau oft gestorben wird? Auf jeden Fall ist Velo fahren in diesem Kanton brandgefährlich, obwohl scheinbar ein dichtes Netz von Velowegen signalisiert ist. Velowege?

Von Biel zum Bodensee, zurück über die Rheinroute Basel – Jura, das war der Plan. Die erste Etappe liess ich schon in Fislisbach (AG) ausklingen, nach zwei herrlichen Bratwürsten und ebensovielen Flaschen Bier beim Metzger Häusermann in Lenzburg. Ich schlage mich in den Forst, da weit und breit kein Campingplatz zu finden ist. Pflanze mein Zelt in den weichen Waldboden und verkrieche mich – nach 20 Minuten schlafe ich tief wie ein Ziehbrunnen.

Da, plötzlich, um vier Uhr früh ein blökendes schreiendes heiseres lautes Bellen, stossweise, in grösseren Abständen. Mein Herz rast: Ein wildernder Hund? Ich schäle mich aus dem Zelt, so leise wie möglich natürlich, und hetze zu Tale, ins nächste Dorf, wo ich auf dem Dorfplatz unter Linden zwei Stunden auf die Dämmerung warte. Kein Witz.

Unterdessen habe ich mir sagen lassen, es sei wahrscheinlich ein Hirsch gewesen.

Item, so kann ich wenigstens in aller Frühe weiter fahren. Zurück zum Wald, Zelt zusammenräumen, um sieben Uhr bin ich schon wieder auf der Strecke. Gondle bald durch frühlingshafte Aussenquartiere von Zürich, Vöglein pfeifen, Kräutlein riechen – wer hier wohnt, wohnt fantastisch, mit Blick auf die Stadt weiter unten. Wunderbar. Ruhige Tea-Rooms, beschauliche Terrassen, belehrende Slogans wie „kill den bullen – im revier und in dir!!“. Doppelte Ausrufezeichen machen mich immer vorsichtig – da haben wir es mit Hysterikern zu tun. Ich hätte es mir vielleicht noch überlegt – aber so????

Gegen Mittag bin ich in Winterthur, die Stadt ist ruhig. Irgendwie habe ich keine Lust auf die Strecke nach St. Gallen und entscheide mich stattdessen für den längeren Weg via Frauenfeld – Kreuzlingen. Keine so gute Idee. Viel Verkehr und trotzdem beschleunigt unterwegs, von Sicherheitsabstand haben viele noch nie was gehört. Ich werde häufig knapper überholt als gewohnt, kämpfe mich in grosser Hitze meinem Ziel entgegen, schliesslich wird die Mutter mit Garantie eine Ankunft zur normalen Essenszeit erwarten.

Anderntags nehme ich den Rückweg unter die Räder. Der Plan ist, in drei Tagen über Singen – Waldshut – Basel nach Biel zu fahren. Ein heisser Sonntag. Eine idyllische Uferpromenade bei Rorschach. Ein Netz von Velowegen, die urplötzlich in Kieswege münden, unvermittelt in die Hügel hinein führen, in weiten Schleifen durch die Rheinauen sich winden. Nach einem Umweg von 10 km auf einer Distanz von deren 30 wird es mir dann zu viel. Da ohne Karte unklar ist, wohin diese Wege letzlich führen werden und wie deren Beschaffenheit ist, erfahrungsgemäss eher holprig, ergebe ich mich in mein Schicksal als Veloverlader. Und suche die Station heraus, die einen direkten Zug nach Biel anbietet. Weinfelden.

Es geht nun darum, auf dem direktesten Weg von Rorschach nach Weinfelden zu kommen. Die Velowege habe ich frustriert aufgegeben. Die Landstrassen aber, die sind wie weiter oben schon gesagt im Thurgau brandgefährlich. Die erfrechen sich tatsächlich, einen Velostreifen von nur einem Meter mit einer durchbrochenen gelben Linie abzutrennen. Ein Meter. Dabei beträgt der Sicherheitsabstand schon 1 Meter 50! Den natürlich kein Thurgauer einzuhalten gedenkt. Witzigerweise aber ändert sich das, kaum habe ich meine gelbe Signalweste angezogen, der Hitze zum Trotz. Jetzt machen die Kerle doch tatsächlich einen Bogen!

Ich werde mir eine Signalweste mit dem Aufdruck „Polizei“ beschaffen müssen, das wird Wunder wirken.

Man kann nun nicht sagen, das Thurgauer Strassenverkehrsamt oder die Thurgauer Polizei, kurz die Behörden täten zu wenig für das Velo. Schliesslich will der Kanton ja auch eine Tourismusregion sein. Scheint allerdings nicht super zu laufen, ich sehe etliche Übernachtungsangebote für nur 45 Franken. Das entspricht einem Abschlag von mindestens 50 Prozent, schätze ich.

Da gibt es wie gesagt die Velowege. Gut für kleine Ausflüge. Nichts für den Tourenfahrer. Dem sei die Strasse empfohlen. Für die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung sorgen fix installierte Radarfallen. Sie sind schon von weitem zu sehen, die Standorte wohl bekannt, bei einem Beispiel sah ich sogar so 20 Meter vorher noch das Warnschild „Halt bevor’s knallt“ – und ich muss wirklich sagen, die Massnahme tut ihre sichtbare Wirkung.

Ich habe dort eine Weile fotografiert – Bremslichter habe ich fotografiert. Weil nämlich fast jedes Auto diese kurz vor dem Passieren der Anlage aufleuchten liess.

PS: !!!!!

02/08/2013

Heisse Hölle Solothurn SBB

Filed under: Unterwegs — Schlagwörter: , , , , , — Hotcha @ 14:00

Und in Solothurn dann die totale Ernüchterung – eine mehrere Quadratkilometer weite Betonsteppe legt sich um den Bahnhof. Ich habe das Gefühl durch einen Teller Erbsensuppe zu atmen. Gelberbs mit Speck, normalerweise ein Hochgenuss. Aber jetzt, im Hochsommer, bei wahrscheinlich so 35 Grad nachmittags um drei, jetzt liegt mir der Sinn ganz einfach nach Wasser. Aber aussichtslos, hier in Solothurn SBB einen öffentlichen Wasserhahn zu finden. Zur Sicherheit erkundige ich mich noch bei der schweissgebadeten Schalterbeamtin, um hier niemandem Unrecht zu tun.

Nun, erstaunlich ist es nicht, als Veloverlader lernt man die Zeichen deuten. Und das Zeichen hier ist die Blechtafel beim Eingang, wo stolz geschrieben steht: Mehr Bahnhof in Solothurn. Und darunter nur Shops gelistet werden. Die Toiletten befinden sich in der Unterführung in einem Chromstahlcontainer, 1 Franken muss eingeworfen werden, trotz der hochmodernen Anlage gibt es nicht mal Rückgeld.

Willkommen bei den Abzockern.

Bei der Hitze verlade ich das Velo bis Biel, wo ich heute morgen um 9:00 aufgebrochen bin, um zur Blutspende nach Burgdorf zu fahren. Möglicherweise war das eine Schnapsidee, aber ich hatte den Blutspendebus in Biel und Nidau am letzten Wochenende verpasst und gleichzeitig wollte ich meine erste Tour im abgesteckten Veloland Schweiz machen.
Wegweiser bei Burgdorf
Die Route 24 führt von Biel nach Burgdorf, und ich will es kurz machen: Ich bin hell begeistert. Eigentlich sollte ich die Route ja nicht empfehlen, um ihr nicht eines ihrer Merkmale zu nehmen. Ich war nämlich weitgehend alleine, zumindest auf der ganzen Strecke von Diessbach fast bis nach Lyssbach. Um genau zu sein, fast bis nach 3309 Kernenried. Schweizer Jugend säuftDort begann wieder die Zivilisation, mit Landmaschinen, den tiefer gelegten Funmobiles der Landjugend und aber auch Stauffer’s Landmetzg. Eine wirklich schöne Metzgerei mit einem grossen Innenhof, wo sogar noch selbst geschlachtet wird. Ich gehe davon aus, dass hier die Tiere nicht kilometerweit transportiert werden. Trotz der Hitze habe ich deshalb den Kauf eines Schwingerschnitzels gewagt, es wird den Transport über mehrere Stunden bestimmt gut überstehen. Auf den afrikanischen Märkten gibt’s schliesslich auch keine Kühlschränke, dort soll das rohe Fleisch auch über mehrere Stunden an den Markständen ausliegen, den Fliegen zur Freude. Man müsse es einfach lange genug kochen, dann sei das überhaupt kein Problem, erzählte eine Freundin aus Burkina Faso. Na also.

Der erste Teil der Strecke bis Dotzigen ist nicht sehr velofreundlich, mit Kindern würde ich bis dorthin den Zug nehmen. Warum ich jetzt grad an Kinder denke? Vielleicht weil eine halbgare Studie kürzlich vor ihrem Abschluss in der NZZ hämische Schlagzeilen gemacht hat, die Velonutzung bei Kindern gehe zurück? NZZ, übrigens, hier neuerdings definitiv unverlinkbar aus Qualitätsgründen. Warum, steht im vorherigen Beitrag auf diesem Blog.

Ab Dotzigen dann bis zur Passhöhe purer Veloweg, durchgehend asphaltiert (wichtig für mein Rennvelo, Feldwege sind Schlauchkiller). Unterwegs die herrlichsten Landschaften und Waldsträsslein, Bibiili und sonstige Tierli, nur leider keine Brünnelein. Oder nur solche mit Warnschildern. Also: genug Wasser mitführen.
Veloweg

In Burgdorf dann das eigentliche Ziel meiner Tour, der Blutspendebus vor dem Einkaufszentrum. Das eher konsternierte Personal gibt mir zu verstehen, dass in meinem Zustand an eine Blutspende nicht zu denken ist. Ich muss wie eine überhitzte Blutwurst kurz vor dem Platzen wirken. Dabei bin ich doch ziemlich gemütlich diese 30 Km in 3 Stunden eher gezuckelt als gefahren. Wir machen dann das Administrative klar (Krankheiten, Medikamente, Lebenswandel, Umgang, Reisen, Operationen, Adresse) – so kann ich dann in Biel im stationären Zentrum nur noch Abzapfen lassen. Den Fragebogen allerdings werde ich bestimmt nochmals ausfüllen müssen. Die Sicherheitsbestimmungen sind unterdessen extrem, der Fragebogen erstreckt sich über zwei gedrängte Spalten. Finde ich gut. Wenn ich das vergleiche mit meiner Beobachtung in Wien, wo in den heruntergekommenen Quartieren ganz gezielt über Plakataktionen Geld gegen Blut geboten wird, hoffe ich auf eine Länderkennzeichnung des Spenderblutes. Denn es ist klar, dass bei einem Blutdeal auch mal gelogen wird, etwa bei den Fragen nach dem Sex der letzten 6 Monate. Haben die in Oesterreich eigentlich keine Ethikkommission?

Ich könnte jetzt noch stundenlang so weiter erzählen, vielleicht auch ein wenig aus Protest gegen die tl;dr-Marotte? (Too long, didn’t read – wird von Langschreibern auch gern als Kurzfassungstag zweckentfremdet, Ironie oder Opportunismus?) Aber dann komme ich ja nicht mehr zum Fahren. Vielleicht später mehr aus einer anderen Veloregion. Ich habe ja diese Velowege bisher unterschätzt, nicht gewusst, dass es solch erfreuliche Routen gibt, wo die Schweiz wirklich noch über Kilometer echtes Gotthelfland ist.

Früher fand ich das bünzlig, heute fehlt es mir.

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