Noch nie hatte ich eine Ferienwoche so minutiös vorbereitet – die ganze Nacht vor der Abreise hab ich mir den Bildschirm um die Ohren geschlagen, um ja kein kulinarisches Highlight Wiens zu verpassen. Beiz um Beiz habe ich ins OneNote gedruckt, mein eigener Restaurantführer am Bildschirmrand.
Gut, es war bei allem Zeitaufwand relativ einfach, weil ich ziemlich rasch auf die total schräge Seite restauranttester.at stiess. Irgendwie Spinner, dachte ich bei mir, obsessive Hobbytester, die sich des Langen und Breiten über den Eingang zur Beiz, die Speisekarte, das Nichtlächeln des Personals, fehlendes Nachfragen, ob Dessert, aufhalten können. Am Schluss wird sich noch die Toilette kontrolliert, und wehe, es ist nur ein gewöhnliches WC. Weiters laden sie dutzende Bilder von der Eingangstür hoch, zwischendurch glückt auch ein Schnappschuss einer Speise, oft unscharf wegen der geheimdienstlichen Mission, aber die Bilder geben halt Punkte.
Punkte wozu? Wer so fragt, hat keine Ahnung von gelungener Motivation, weiss nicht, wie einfach Menschen zu gratis Fronarbeit bereit sind, wenn man ihnen Anerkennung bietet – sie beispielsweise als ‚Experte‘ zu betiteln beginnt, wenn sie nur genug derer Punkte gesammelt.
Noch ein Schlenker gefällig? Gerne doch. Die Experten bewerten doch tatsächlich regelmässig und ganz ernsthaft das abgezapfte Bier im Chinarestaurant. Wien. Grien.
Ich reiste also an mit sicher 50 Restauranttipps im Köcher. Für fünf Tage.
Ohne Velo, natürlich. Wien hat ja erst seit Kurzem einen Fahrradbeauftragten. Da warten wir noch ein bisschen, bis er Wirkung entfaltet. Sie haben dort übrigens, ganz neu, eine Fussgängerbeauftragte. Irgendwo habe ich gelesen, auch eine Hundekegelbeauftragte. Wien, k.u.k., heute noch.
Ich habe noch nie versucht, das Velo in den Railjet der OeBB zu verladen. Wozu auch? Wien ist die Stadt der U-Bahnen, Strassenbahnen, Nahverkehrszüge und der Busse. Bei fast jeder Haltestelle leiert der Lautsprecher adrett zusammengesetzte Textbausteine herunter, an welches Verkehrsmittel man hier nun Anschluss hätte – blöd, ich habe es nicht aufgenommen, weil das wird so richtig hart aneinandergeschnitten, mit verschiedenen Stimmen und Tonfällen, es ist jedesmal ein Zusammenzucken, wenn am Schluss der Durchsage in doppelter Lautstärke noch ertönt „UND AN DIE ZüGE DES REGIONALVERKEHRS!“
Um diesen Teil zu Ende zu bringen, hier die Konsumenteninformationen. Am Montag anreisen, ein Wochenticket für die Kernzone 100 = Stadt Wien = alles was man braucht kaufen, 15 €, danach freier Verkehr auf allen Verkehrsmitteln. Der Hammer, sag ich euch. Die U-Bahnen fahren permament ab ca. 5:00 bis 0:30, ich habe nie länger als 5 Minuten auf eine Bahn gewartet. Die Feinverteilung dann mit dem Tram ist ähnlich effizient, Wartezeit war bei mir maximal 10 Minuten. Und da man sich ja nix zu tun hat, ausser nach Beisln Ausschau halten, deren es an jeder Ecke mehrere hat, ist da überhaupt keine Eile notwendig, kein Druck parat (ich versuche mich übrigens gerne ein wenig in Wiener Grammatik, hätten’s gmerkt?).
Damit wären wir wieder beim Thema. Beizen. Essen. Das einzige, was die Wiener mit Leidenschaft zu betreiben scheinen. Ausser Einkaufen. Oder Bier trinken. Oder granteln. Sie nennen das scheints Schmäh. Euphemismus ist eine Wiener Erfindung. Weil beim Wort Schmäh denken sich alle Auswärtigen an etwas Kulturelles. Dabei – Zürcher sind gegen diese Wiener so richtig ein fröhliches, weltoffenes Völklein. In neuster Zeit scheint das allerdings sogar zu stimmen. Ich muss mir meine Züri-Aversion glaubs langsam abschminken. Schon wieder ein Alleinstellungsmerkmal weniger.
Der Empfangschef im Hotel Cyrus, wo ich zu einem Hammerpreis unterkam, hatte einen Akzent, war wohl kein Original Wiener – richtig freundlich war er, ich kam mir für einmal nicht wie ein Dorfdepp vor, der stumpfsinnig lächelnd auf die Leute zugeht, um wieder und wieder durch kalte Indifferenz abgebügelt zu werden. Auch die kleine Bar gegenüber, Gloria, ein echtes Raucherlokal, konnte mich wieder mit der Welt versöhnen. Ein nettes Inhaberpaar, sie an der Bar, er sorgt für den Umsatz, indem er sich dem Kartenspiel mit den Kunden hingibt. Und sie haben richtig schnelles Wlan. Und Budweiser vom Fass.
Das ist die Laxenburgerstrasse. Im 10. Bezirk. Nicht grad das Wien des Opernballs; der grösste Laden war ein Sexshop mit wirklich tollen Ganzkörperpijamas in Rosa, getigert oder mit Löchern überall, um nur 49 Euro. Es hat nicht viel gefehlt – vielleicht nächstes Mal dann.
Und dann Schallplatten Brigitte. Ein schöner Laden, noch voll im Schuss, obwohl laut Zettel an der Tür schon seit einiger Zeit geschlossen, Schlager und volkstümlicher Schlager in allen Fenstern, und in der Mitte dieses Schild.
Michael Jackson Singles lagernd
Dieses Quartier musste mir einfach gefallen. Da haben sich zwei gesucht und gefunden.
Viele Wettlokale. Sportwetten an jeder Ecke. Die Filiale der Stadtbibliothek im Bezirk ist spezialisiert auf fremdsprachige Literatur. Serbisch, kroatisch, türkisch. Der Saturn am Columbusplatz: riesig, vor allem Wasch- und andere Haushaltsmaschinen, Kids, die sich um die neusten Pads scharen, ein paar uninteressante CD und DVD. Der Mainstream des Mainstreams.
Im selben Gebäude der neuste Gag der Wiener Gastronomie: ein Running Sushi. Schlappe, nässende rosa und grüne Teilchen laufen den ganzen Tag an einem Fliessband an den paar Gästen vorbei, die nur den Arm ausstrecken brauchen, um sich soviel zu fischen wie sie mögen, zu einem lächerlichen Pauschalpreis. Es war grad Grippesaison in Wien in dieser Woche. Hoffentlich sind die ungeschützten Sushi nicht krank geworden, so nah, so oft im Kreise gedreht.
Ja, das Quartier ist Hardcore. Aber es geht sich noch härter – eine Station weiter, Endstation der U-Bahn, Reumannplatz. Dort hatte ich ein eher unwohles Gefühl, im Dunkeln, schlecht beleuchtete Ecken. Es war grad Überfallsaison in Wien – Vergewaltigungen und sonstige Gewalt in der U-Bahn, der videoüberwachten, Handtaschenräuberpärchen, so stand es jedenfalls in der Zeitung. Allerdings gibt es in Wien nur Boulevardzeitungen, wenigstens fast. Da ist unser Blick ein gehobenes Intelligenzblatt dagegen. Nicht eine einzige Meldung, die frei von Ressentiments, Hetze oder ideologischer Verdrehung wäre. Unglaublich.
Seid Ihr noch da? Nun, im Titel war ja nie die Rede von Engelszungen.
Kommen wir zu den Entenzungen. Ich habe die ganzen Tage in Wien nie anders als asiatisch gegegessen. Und ich war nur in zwei Restaurants zweimal. Halt, im Wok & More dreimal. Die Berichte in restauranttester.at würdet ihr am besten selbst nachlesen. Dort wo noch nicht alles gesagt war habe ich mich zu Wort gemeldet. Habe dafür den B.B. wieder hervor geholt. Am Ende des Beitrags hier stehen dann die Links.
Nur eins noch: Ich wollte es auf restauranttester.at nicht so offen schreiben, aber der Schweinedarm hatte tatsächlich noch diesen leichten Geruch von Darmausgang. Vor allem dann, wenn ich Rosette kaute. He, das ist überhaupt kein Problem. Es war alles geputzt und sauber. Aber das ist halt wie mit dem Zigarettenrauch. Den bringt man auch nicht mehr weg.
Hier war es gut
Wok & More am Karlsplatz, fein
Die Entenzungen…
Mein erster Wiener Chinese, zeitlich gesehen
Die Top-Empfehlung von mir!
Das Hotel
Noch was:
Ist es Zufall, dass in der Gegend ein sogenannter Plasmapunkt war, ein wenig abseits in einer Seitengasse, klandestin die Tür verschlossen, kein Klingelschild, wohl nur auf Anmeldung. Und in der U-Bahn diese Plakate hingen, wo an den Heldenmut der Spender appeliert wurde und gleichzeitig eine Aufwandsentschädigung „für Ihre Zeit“ von 20 Euro ausgelobt war, und dass die Plakate ausgerechnet in den härteren Gegenden zu finden waren? Ein Argument war auch noch, dass man dann grad gratis ärztlich untersucht ist.
Das härteste in Wien aber ist sowie der alte Lugner mit seiner Katzi. Die Nachfolgerin von Mausi. Der Mann hat seinen eigenen Stadtteil, die Lugner City. Mit eigener Haltestelle. Das muss man gesehen haben. Das Foto, wenn der Link denn bleibt, ist in der Lugner City aufgenommen. Trash as trash can.
Ich glaube, ich liebe diese Stadt.
PS: Im Zug, zurück in der Schweiz, der erste Zeitungsartikel im 20 Minuten: Designerin und Model Blanda Eggenschwiler (27) ist frisch verliebt. Ich weiss, es liegt an mir, wenn sie nicht kenne. Designerin? Ah, da steht’s ja: Blanda stellt heute Abend im Club Cabaret ihre Kollektion von selber designten Handyhüllen vor.