Veloverlad – ein interessante Blog, glaubzmer

18/07/2013

Diese furchtbare Qualitätspresse, exekutiert am Beispiel NZZ

Filed under: Lesen — Schlagwörter: , , , , , — Hotcha @ 12:48

Ich könnte die Wände hochgehen vor Ärger, wenn ich solchen Pseudojournalismus lese wie die völlig unkritische, gar absolut lügnerische Berichterstattung über einen sogenannten Heiler; es ärgert mich im Krankenkassenheftli, es ärgert mich im Le Matin Dimanche, es ärgert mich am Radio Suisse Romande, es ärgert mich auch in der NZZ. Am Radio ärgert es mich mehr, weil wir das ja zwangsfinanzieren, aber darüber will ich heute nicht berichten. Obwohl: Ein dicker Hund ist es schon, wie die welschen Kollegen immer wieder für die Alternativmedizinslobby Werbung machen. Hätte ich Zeit, würde ich mich dem mal widmen. Aber vielleicht macht das ja mal ein Organ der Qualitätspresse? Oder eines der Gegenöffentlichkeit, wie Infosperber?

Nun aber zur NZZ. Sie hat rechtzeitig zur Sauregurkenzeit einem Schlachtross des esoterischen Behauptungsjournalismus eine ganze Seite zur freien Verfügung überlassen, und so kam es dann auch heraus. Der Blogger Andreas Von Gunten hat den Artikel gelesen und bei sich verlinkt. Lest es dort mal nach, es lohnt sich.

Warum geht es dort? Der Rieder Georg hat einen Dreh gefunden, wie er seiner Bestimmung als Restaurantkoch entgehen konnte. Er behauptet einfach, er habe einen Röntgenblick, könne die Aura einer Person sehen, die Organe und die Knochen gar, und hat damit ein Gewerbe angemeldet, in Österreich geht das. Obwohl „auch in Österreich ausschliesslich Schulmediziner Diagnosen stellen dürfen“. Er stellt also keine Diagnosen, sondern stellt sich vor die Person hin und guckt, während diese sich um die eigene Achse drehen muss. Das heilt. Fünf bis sechs Gläubige braucht er pro Tag, damit hat er sein Auskommen. Gut, er sagt, mehr sei nicht zu schaffen, es strenge halt so wahnsinnig an. Früher hätte er bis zum Kopfweh durch die Wände hindurch die Nachbarn beim Sex beobachtet, das will er uns tatsächlich glauben machen. Ich meine, wer das glaubt, der glaubt jetzt wirklich alles.

Der glaubt auch, dass der Rieder Schorsch bei einem wissenschaftlichen Test 198 von 200 Personen richtig diagnostiziert hätte. Diagnostiziert! Nicht einfach Erleichterung verschafft, was sich ja durch Placebo und andere Effekte ohne Weiteres erklären lässt. Nein, diagnostiziert. Mit einer praktisch 100%igen Trefferquote! Warum der Rieder Schorsch die Million von James Randi noch nicht abgeholt hat, ist mir allerdings schleierhaft. Eventuell, weil der Test zwar durch einen „Coach mit Doktortitel“ durchgeführt wurde, wie die NZZ-Journalistin Schaum schlägt, aber der Doktortitel hat halt erstens mal mit Naturwissenschaften gar nichts zu tun, und der Test ist unter Garantie nicht echt, sondern pure Reklame. Wahrscheinlich nicht mal auf dem Niveau der Tests der Kosmetikindustrie, wo etwa 30 Sekretärinnen des Herstellers sich auf einer Wohlfühlskala eintragen, nachdem sie ein Falten-Weg-Produkt während zwei Wochen verwendet haben. Kein Witz, lest mal das Kleingedruckte in der Kosmetikareklame.

Der glaubt natürlich auch, dass sogar Ärzte sich vom Rieder Schorsch helfen lassen.

Öffentlich zugeben wolle das jedoch keiner von ihnen. «Die fürchten alle um einen Imageverlust, wenn rauskommt, dass sie sich mit einem wie mir eingelassen haben», sagt Rieder, und er sagt es spöttisch.
(NZZ vom 7. Juli 2013).

Na schau mal, da wacht einer einfach so auf mit der Gabe, dem Geschenk, dem Geheimnis und kann natürlich hinabblicken auf jene, die einer jahrelangen Ausbildung bedürfen und dann trotzdem nicht auf eine fast 100%ige Diagnosesicherheit kommen. Tja, da ist Spott wohl angebracht – Spott nicht über den Schorsch, sondern über die Journalistin, die so was allen Ernstes hinschreibt. Und nicht eine einzige Relativierung des Humbugs zu Stande bringt. Beispielsweise, indem sie der Expertise des „Coach mit Doktortitel“ mal auf den Grund geht. Oder die „bisher einzige wissenschaftliche Ausbeute“ einer Untersuchung des deutschen Physikers „Günter Haffelder in seinem Institut für Kommunikation und Gehirnforschung in Stuttgart“ wenigstens pro Forma hinterfragt.

Da sie das also nicht tut, kann sich der Veloverlader hier mal kurz auf die Spurensuche machen. Und wird natürlich sofort fündig.

So ist etwa Sylvie-Sophie Schindler schon vorher als PR-Schreiberin für Scharlatansmedizin aufgefallen, bei Kathrin Zinkant kann man es nachlesen. Weitere Belege müssen mühsam zusammen gesucht werden, da Sylvie-Sophie Schindler zwar fleissig aus dem Web zitiert, aber keine Adressen angibt, wo man eventuell der geballten Scharlatanerie gewahr werden könnte.

Ich habe immerhin die Webseite des Schorsch gefunden, und dort wird es dann so richtig gefährlich. Denn der Schorsch erzählt gleich auf der Startseite, dass er 100 Menschen von Krebs geheilt hat. Er sagt es zwar nicht so, das wäre wohl juristisch nicht möglich, aber er meint es ganz klar so.

Es gibt über 100 gut dokumentierte Fälle von krebskranken Menschen, welche seinem
Wirken ihre Genesung zuschreiben. (www.georgrieder.com)

Spätestens hier zeigt sich, wie verfälschend die Berichterstattung von Sylvie-Sophie Schindler ist. Denn mit den Hoffnungen von Krebspatienten zu spielen und diese zu leicht verdientem Geld zu machen, das geht nun gar nicht. Und ist in Heilerkreisen in diesem Ausmass auch nicht grad gang und gäbe. Ein Grund mehr, es in einem Stück Qualitätsjournalismus zu erwähnen. NZZ, habt ihr denn nicht mal ansatzweise ein wenig gegoogelt?

Nun, die NZZ-Leser scheinen es getan zu haben. Allerdings nur, um dann im Forum Bitten um Rückrufe zu hinterlassen, mit kompletter Telefonnummer oder Mailadresse. Wie sehr Rieder und seinesgleichen mit den Hoffnungen der Leute spielen, zeigt dann auch ein aktueller Eintrag:

soeben habe ich einen Artikel in der NZZ -CH,von ihren Fähigkeiten gelesen.
meine Enkeltochter 8monate alt,leidet unter Metochondrinstöhrungen,können sie helfen?sie ist taub und die Ärzte geben ihr keine hohe Lebenserwartung,3-4j.
mein Sohn lebt mit der Familie in Hong-Kong,kommt aber fast jeden Monat mit der Tochter zur Untersuchung und Behandlund,in die CH.
Sehen sie eine Möglichkeit,ihrerseits,ihr helfen zu können?
auf eine antwort wartend verbleibe ich mit freundlichen Grüssen

Oder gehen wir mal auf die Webseite von Dr. Franz Minister, der Coach mit dem Doktortitel, der Rieder angeblich getestet hat. Minister ist Dr. rer. oec., hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert. Und der geht hin und will die Richtigkeit medizinischer Diagnosen testen? Wohlweislich hat uns die NZZ diese Information unterschlagen.

Fehlt noch das Institut für Kommunikation und Gehirnforschung in Stuttgart, das nachweist, dass der Rieder Schorsch andere Hirnströme zeigt, wenn er ‚heilt‘. Abgesehen davon, dass das gar nichts bedeutet, handelt es sich hier selbstverständlich um ein privates Institut. Selbstverständlich ist es wissenschaftlich fundiert, wenigstens wird das behauptet.

Arbeitsgrundlage ist ein vom Institutsleiter Günter Haffelder weiterentwickeltes EEG-spectralanalytisches Messverfahren, das in der Forschung und Anwendung eingesetzt wird. Es gibt als bildgebendes Verfahren einen Einblick in funktionelle und dynamische Prozesse des Gehirns in bisher unbekannter Tiefe und ermöglicht differenzierte Aussagen zu individuellen Zusammenhängen von Lernen, Gedächtnis und emotionalen Themen. Interpretationsgrundlage ist die dreidimensional darstellbare Messung, die über ein empirisch validiertes, standardisiertes Testverfahren erfolgt. Die Einsatzgebiete der EEG-Spectralanalyse sind vielfältig und werden über zahlreiche Forschungsprojekte dokumentiert.

„In bisher unbekannter Tiefe“ – spätestens hier müsste man doch hellhörig werden. Die Hirnforschung ist die Vorzeigedisziplin heute, die bis in esoterische Kreise interessiert, und dann kommt da dieser Haffelder und dringt in bisher unbekannte Tiefen vor. Man muss sich nur mal die Webseite anschauen. Grümscheliger geht fast nicht mehr. Ich kann mich noch entsinnen an diese Webseiten mit grauem Hintergrund, Navigation im Frame links, Schrift Times New Roman. Das war der letzte Schrei anno 1995 mit Netscape Navigator 2.0. Wahrscheinlich hat der Gute die Seite selber gebastelt, mit Frontpage 1.0.

Aber klar, Internet ist Tand – Forschung ist es die zählt. Und da schöpft das Institut aus dem Vollen.

Im Institut arbeiten verschiedene wissenschaftliche Mitarbeiter aus den Fachrichtungen Physik, Psychologie, Pädagogik, Sprachen, Biologie, Informatik, Musik und Medizin.

Und woran forschen diese vielen Leute? Da gibt es eine Liste auf der Seite, die schaut etwa so aus:

Forschungsprojekte (Auswahl)

1. Lern- und Cerebralforschung

        Einzelmessungen von Personen mit Lernstörungen, Wirkung von neuroaktiver Musik auf Lernprozesse
        Schulprojekte über Lernen
        Einzelmessungen von Personen mit diversen Cerebralschäden wie Wachkoma, Apoplex, Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose und Spina bifida, Projekte in Zusammenarbeit mit Ärzten; Wirkung und Anwendung von neuroaktiver Musik
        Neuroplastizität des Gehirns
        usw.

     

2. Geräte und deren Einfluß auf das Gehirn

        diverse Magnetgeräte
        Cave (Cyberraum)
        Elektrosmog in Räumen, Energiesparlampen
        Energiegeräte
        Suggestions-CD
        usw.

 
3. Medizinische Techniken und Medikamente

        Atlastherapie
        Cranio-Sacral-Therapie
        Elektro-Akupunktur
        Siener-Methode
        Kieferschiene
        Homöopathika
        Essenzen
        Bachblüten
        usw.

 
4. Therapien auf manueller Ebene

        Bioenergetik
        Kinesiologie
        Krabbeln
        Fußmassage
        usw.

 
5. Wirkungen von Gesprächs- und Interventionstechniken

        Psychotherapie
        Psychiatrie
        Entspannungstechniken
        usw.

 
6. Kunst

        Tanz
        Musik: Klavier, Streichinstrumente, Didgeridoo
        Theater (Theaterstück im Liegen)
        Akrobatik / Seiltanz / Jonglieren
        interaktive Kunst / Transmedia / cynetart
        Heilgesang
        Sonologie
        usw.

 
7. Kommunikation

        Lehrer - Schüler
        Arzt - Patient
        usw.

 
8. Trainingsmethoden

        Management
        Sportler / Hochleistungssportler
        Gedächtnis- und Rechenkünstler
        usw.

 
9. Verschiedene

        schwangere Frauen
        Schach
        vielsprachige Menschen
        usw.

Genau ein Projekt ist gen aussen verlinkt, zur Uni Bielefeld. Allerdings ist der Link tot.

Was man auf dieser Seite auch anschaut, absolut nichts erweckt das geringste Vertrauen. Ganz offenbar ist das Institut ein Fake, bar jeglicher wissenschaftlichen Reputation, darauf angelegt, verängstigten Kranken Messungen, Geräte und eine individuelle „Neuroaktive CD“, u.a. für cerebral geschädigte zu verkaufen. Schlangenöl. Psiram übrigens belegt diesen Eindruck.

Wo man auch hinschaut, beim Rieder Schorsch, beim ‚Institut‘, beim ‚Coach mit Doktortitel‘, nichts würde die Behauptungen im Artikel der NZZ auch nur ansatzweise unterstützen. Es sind pure Erfindungen, Phantastereien, zum Teil gar blanke schamlose Lügen. Alle ‚Quellen‘ kommen eindeutig aus dem Esoterik- und Geldmacherbereich, was häufig Hand in Hand geht. Ich muss ehrlich sagen, mir gruselt es.

Mir gruselt, weil das Muster ist sattsam bekannt: Etwas behaupten und als Beleg fachfremde Quellen angeben, die schon beim zweiten Hinsehen sich als windig erweisen. Mir gruselt, weil die NZZ so was macht. Mir gruselt, weil die Manipulation nicht immer so einfach zu entdecken ist.

Ich denke oft an Colonel Parker seelig, Elvis‘ Manager. Er hat es auf den Punkt gebracht mit seinem

There’s a sucker born every minute

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