Das war ein echter Schock, sowohl Jandek wie auch die Flaming Lips fanden sich plötzlich nicht mehr auf dem Programm der Bad Bonn Kilbi. Und ich hatte doch extra den Samstag eingekauft, am ersten Vorverkaufstag schon. Später wäre es wohl gar nicht mehr möglich gewesen, die Festivalpässe gingen alle schon in der ersten Stunde weg. Und nun das: die einzigen Acts, die mich ausserordentlich interessiert hatten, abgesagt?
Man hat mich dann darauf hingewiesen, also das Internet hat mich darauf hingewiesen, dass ich das Programm des Vorjahres konsultiert hatte. Alles gut also. Und ich musste nun herausfinden, wie ich bei dem Hudelwetter ins abgelegene Düdingen komme, besser gesagt, was mache ich nach den Konzerten um 2:00 Uhr morgens ohne Zelt, ohne Hotel sowieso, ohne Schlafplatz?
Hinfahrt
Schon klar, die Hinfahrt ist ein Klacks; einzig die Verpflegungsfrage stellt ein Problem. Ich meine, in den Bahnhofunterführungen zu extrem überhöhten Preisen diesen bizarren Ex-und-Hopp-Food verzehren, der seltsamerweise noch als „gesund“ angepriesen wird, ich bin doch nicht blöd.
In Bahnhöfen Essen verkaufen heisst Lügen lernen.
Im Bahnhof essen
Wenigstens findet sich unter all den Blinden ein Einäugiger – eine Migros Fast Food Insel. Dort kaufe ich mir ein
Steinofenbrot.
Als es mir über die Theke gereicht wird, beim ersten Drücken schon bereue ich den Kauf. Ich hätte den Mut haben sollen, das Geld zurück zu verlangen. Ich glaube man nennt diese Konsistenz ‚letschert‘ – schlaff, lampig eben. Das Brot hat mit Sicherheit weder jemals einen Stein noch einen Ofen, geschweige denn einen Steinofen gesehen. Reklamieren ist ausgeschlossen, schliesslich wissen wir alle, dass der Name mit dem Inhalt nichts zu tun hat. Rein gar nichts. Bauernbrot, Wiesenmilch, Tiefkühllasagne. Da ist weder Bauer noch Wiese noch Tiefkühltruhe drin. Steinofenbrot. Salami war drin. Salami? Normalerweise hat die einen intensiven Geschmack, diese hier hatte gar keinen . M-Budget? Aber lassen wir das Thema – es musste bloss wieder mal gemotzt werden, wo es ums Essen geht, kenne ich absolut keine Gnade. Essen ist Politik! Und diese Beutelschneiderei der Faustfoodbranche geht mir schon lange auf den Wecker. Vor allem in den Bahnhöfen, wo es keine anderen Möglichkeiten gibt.
Bad Bonn Kilbi
Ich war mir sicher, dort dann die ganze Szene anzutreffen. Hm… Ein paar Nasen habe ich gekannt, vielleicht 10 von wahrscheinlich 2000. Und den Briggi aus dem Rheintal kennen gelernt. Bei einem Drink, den er mir ginseelig anbietet. Wir hauen uns ein bisschen gegenseitig auf die Schulter, dann muss er pissen gehen und ward nimmer gesehen. Das war ca. um 18:00 Uhr. Er trug keine Sonnenbrille, da war er eine Ausnahme. Er war auch nicht allzu bleich. Immerhin war das Festival in seinem dritten Tag, viele hatten bei Kälte und Regen seit Donnerstag gezeltet. Vermute ich wenigstens. Die Zeltplätze waren voll.
Unter solch erschwerten Bedingungen mutiert gar mancher zum Rock’n’Roll Zombie, die Freundin zu Kate Moss. Finde den Unterschied.
Jandek
Ich war ja wegen Jandek gekommen. Jandek on Corwood. Ein Phantom seit über 30 Jahren. Eine Legende. Ein Mythos. Muss ich noch mehr sagen? Während Jahren war von Jandek nur soviel bekannt: Ein Inserat, eine Postfachadresse. Und dass er auf diesem (seinem?) Label Platte um Platte raushaut, alle von ihm, sicher eine pro Quartal. Langspielplatten, wohlgemerkt. Und die konnte man über das Postfach bestellen. Wir reden hier über die frühen 80er, auch das sei wohl gemerkt.
Heute erst übrigens sehe ich, es gibt unterdessen einen Film bei Youtube, der allerdings das Mysterium nicht aufklären wird, nehme ich an. Ich habe ihn mir noch nicht angesehen. Hier ist der Link, solange er funktioniert.
Hier schon mal das PS (na ja, eigentlich ein MS): ich hatte damals die ganze Produktion bestellt, im ’88 war das, das waren ungefähr ein Dutzend LPs, davon je zwei Exemplare. Versuchte die zu verkaufen. Ein Stück ging weg, danach war fertig lustig; über 20 Jahre habe ich den Packen mitgezügelt, bis ich 2009 mal die ganzen Kisten auspackte.
Unterdessen habe ich einige nachträglich über Discogs verkauft. Selbstverständlich sind die heute das Mehrfache der 9 Franken wert, die ich damals verlangt hatte. Ein weiteres Beispiel für die breite Gültigkeit des Mottos
Be There Or Be Square
… ja das Leben ist eins der Schwersten, wie auch Donald Duck immer schon wusste.
Live
Um 20:00 Uhr sollte Jandeks Auftritt beginnen. Um 19:30 stand ich schon im Zelt, um ja keine Bewegung des Maestros zu verpassen. Und ward reich belohnt. Der Soundcheck war irgendwie ein lockeres Zusammenstehen auf der Bühne, ein wenig Geräusche machen, Jandek instrumental sozusagen.
Ziemlich auf die Minute dann das Konzert. Vorher war noch ein blondes ätherisches Wesen mit einer etwas ungesunden Körperhaltung und viel zu grossen winzigen Klamotten zum Trio gestossen, das perfekte Nico-Zitat in seiner Ausstrahlung, dem original gelangweilten Rezitieren unverständlicher Texte („Flucht“ „Flucht“ „Flucht“ glaubte ich mal verstanden zu haben, aber dann liess ich die Sorge um Inhalt korrekterweise fahren). Viel Luft in der Stimme. Sie dreht ab und an an Knöpfen, dann wirds halliger oder geräuschiger. Derweil der Gitarrist im Hardrockgewande für flächige Geräusche zuständig ist, die er mittels eines Tonbandechos sowie Hauen und Stechen mit dem Instrument erzeugt. Und mit dem Gitarrenhals den Bühnenboden rechen. Diesen Trick habe ich noch nicht gekannt.
Drei Songs spielen sie, um Punkt 21:00 ist fertig. Kurz vorher hatte sich das Ende angekündigt, durch einen schnellen Blick des Drummers auf seine Uhr. Da war dem Kenner klar: Die hören genau zur vertraglich festgelegten Zeit auf.
Der Drummer übrigens spielte als einziger konventionell, aber auf technisch hohem Niveau. Es ist jetzt blöd, Vergleiche zu ziehen. Erinnerte mich an Koryphäen wie Tobi Schramm oder Lionel Friedli, sind halt beide aus Biel. Darum wisst ihr jetzt vielleicht auf Anhieb nicht grad, wer das ist. Das wird noch.
Jandek nun, er blieb die ganze Stunde über an seinem Fender Bass, und wie soll ich seine Spielweise jetzt beschreiben? Plonk Plonk ………….PlPlPlPlPlonkBrumm… Reibgliss – PloinkPlummPlamm…. reiblinksundrechtsgleichzeitigimKreisherum- gliss – Reib Plonk Plooonk Plnk.
Ein wenig wie Frank Zappa, aber total anders: Jandek arbeitet seit seiner ersten LP an seinem ganz eigenen Sound, die Worte sind total wichtig, aber man muss sie nicht verstehen, eine Melodie brauchts nicht, wozu gibt es denn Klangflächen und Pling Plonk? Ein wenig wie Frank Zappa: Schon nach ein paar Sekunden ist klar, wer da spielt.
Jandek live im Bild
Checkin
19:38 Uhr
19:40 Uhr
19:47 Uhr
19:48 Uhr
19:52 Uhr
For real
20:54 Uhr
20:57 Uhr
20:58 Uhr
20:59 Uhr
Da in der Konzertkritik heute morgen im Bund Jandek nicht einmal erwähnt worden ist, musste diese Ergänzung unbedingt sein. Voilà!
Eigentlich hätte ich dafür ja auch meinen Musigblog, vielleicht mache ich dort drüben dann auch noch was, beim Calypso Now Blog
Rückfahrt
Hätte ich das Billet schon in der Tasch gehabt, wäre ich ruckzuck zurück in Biel gewesen. Bis ich allerdings das Ticket der eher kryptischen Software entlockt hatte, war der Zug nach Bern schon weg. Und in Düdingen eine Stunde auf den Zug warten ist nicht so toll. Egal jetzt. Hauptsache für den Veloverlader: Der letzte Zug nach Bern – Biel geht erst um 0:37 Uhr! Das sind für jemand wie mich, der noch mit dem TV-Sendeschluss um 24:00 Uhr aufgewachsen ist, ganz neue, ganz hervorragende Töne.