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28/06/2012

Zeitungen: Preisdumping für den Kindle

Filed under: Lesen — Hotcha @ 05:22

Eine Preisliste

  • Die Zeit: 3 Euro (50 % billiger als am Kiosk)
  • Süddeutsche Zeitung: 1.60 Euro (60 % billiger als am Kiosk)
  • Libération: 0.80 Euro (60 % billiger als am Kiosk)
  • Le Monde: 1.50 Euro (40 % billiger als am Kiosk)

Seit ich den Kindle habe, den billigsten übrigens, dieser langt vollkommen, lese ich immer mehr Zeitungen auf dem Gerät, die erste habe ich unterdessen sogar abonniert, die Libération. Im Vergleich mit meinen beiden anderen Digitalabos, die auf dem herkömmlichen Weg direkt vom Verlag ausgeliefert werden, kann ich keine Komforteinbusse feststellen. Ganz im Gegenteil.

Der Kindle trumpft mit dem unerreichten Schriftbild, es liest sich halt tatsächlich wie gedruckt. Nicht so die PDF, die mir Le Temps liefert, oder die HTML-Ausgabe, die ich bei Le Monde beziehe.

Plötzlich sieht PDF alt aus

Die Übertragung per Wlan ist blitzschnell. Kein Vergleich zu den mehreren Mega von Le Temps. Nicht mal das das Originalformat der Zeitung entschädigt mich für das manchmal minutenlange Laden, im Adobe Reader liest es sich nicht allzu komfortabel, das ständige herumzoomen stresst. Komfort geht anders, zumal ich nicht mal markieren oder kommentieren kann wie im Kindle. Und dafür zahle ich immerhin gut 20 Franken im Monat. Irgendwann werde ich mich dieser meiner früheren Lieblingszeitung entwöhnt haben, zumal sie inhaltlich massiv an Gewicht verloren hat. Für den Kindle gibt es sie nicht.

Bald werde ich wohl alles zum Kindle transferiert haben. Le Monde müsste ich dann doppelt bezahlen, da das direkte Abo mit dem Amazon-Abo nichts zu tun hat. Das heisst also, das für den Verlag lukrativere Direktabo werde ich aufgeben.

Überzeugende Navigation bei Amazon

Die Amazon-Ausgaben werden von Amazon selber zusammengestellt, formatiert und exklusiv verkauft. Heute hat sich das System so eingespielt, dass die kompletten Inhalte übernommen werden. Die Navigation ist immer die gleiche, bei allen Zeitungen. Hat man sich daran gewöhnt, ist das richtig angenehm.

Die Zeit auf dem Kindle

Ich kann durch die Zeitungsbünde navigieren und sehe rechts eine Liste der Artikel. Oder ich kann sequentiell durch die Artikel brausen. Ich habe mir angewöhnt, zuerst die Anzahl Wörter eines Artikels anzuschauen und so das lästige Kurzfutter allenfalls zu überspringen. Eine Fortschrittsanzeige unten am Bildschirm zeigt mir diskret an, wo in der Zeitung ich mich ungefähr befinde.

Wer macht hier das Geschäft?

Ich frage mich, wo das Interesse der Verlage liegt. Wenn ich davon ausgehe, dass Amazon 30% vom Verkaufspreis einbehält, kassiert die Süddeutsche zwar jedesmal 1 Euro für einen zusätzlichen Verkauf ihrer Inhalte an Amazon, das wie ein Aggregator funktioniert. Zudem wird ihnen die Adresse des Kunden mitgeteilt. Zusätzlichen Aufwand hat der Verlag nicht.

Aber die Kindle-Ausgabe löscht die Werbung der Druckausgabe. Da der Leser auch nicht auf die Seite des Verlags geht, zählt die über Amazon verkaufte Ausgabe überhaupt nicht für die Werbung. Da geht etwas nicht auf, da Zeitungen sich doch zur Hauptsache über Reklame finanzieren. Wie auch ich werden sich bestimmt weitere bisherige Leser für die Amazon-Ausgabe entscheiden.

Werden die Verlage mir nun E-Mail-Werbung schicken und sich so schadlos halten? Wie werden sie diese Zahlen gegenüber den Agenturen ausweisen, rechtfertigen? Wo ist ihr Interesse? Gibt Amazon ihnen noch mehr über mich bekannt? Werden sie es mit anderen Bewegungsdaten von mir ergänzen können?

Ich rechne mit einer starken Zunahme von Spam-Mail, von mir durch den Kauf bei Amazon stillschweigend genehmigt. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.

Für mich sieht es so aus, als ob wir im Moment in einer Übergangsphase stecken, alle Spieler werden versuchen, irgendwie ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Warenhäuser Amazon, Apple und Google versuchen sich als dominierenden Verkaufskanal zu etablieren. Den Verlagen geht es darum, zu retten, was zu retten ist. Der Verkauf über Amazon scheint mir irgendwie panikgetrieben. Ob das am Ende aufgeht?

Irgendwie erinnert mich das alles an das Rotkäppchen-Dilemma: Der Wolf täte es gerne fressen, würde er es aber tun, gäbe es sein Märchen nicht. Noch braucht der Wolf das Rotkäppchen. Irgendwann aber wird er es verschlucken. Glaubzmer.

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