Gestern abend habe ich zum zweiten Mal innerhalb einer Woche die Spaghetti Frutta Di Mare bestellt, aber ich wusste schon vorher, sie würden mir nicht mehr so schmecken wie beim ersten Mal. Damals war ich noch enthusiastisch. Ich war schon oft enthusiastisch, hier in Bellinzona.
Lôro
Vor einigen Wochen habe ich die erste Tessiner Beiz entdeckt, die mich umhaute. In der Höhe, halbwegs wenigstens, über Giubiasco, Richtung Valle Morobbia, das Dorf heisst Lôro, eine wirklich schöne Beiz, ein heller gekalkter Bungalow aus den 60er Jahren, Pergola, üppiger Parkplatz, die Gäste allesamt vom Typ Strassenarbeiter. Es wird viel gebaut dort oben… Zuerst Teigwaren, Salat, dann Kaninchen mit Polenta, war glaubs um die 15 Franken. Fein. Charmante Bedienung, die gerne französisch spricht. Ich auch.
Ehrlich gesagt vermeide ich es im Tessin deutsch zu sprechen – wird schon einen Grund haben, wir wollen jetzt nicht grübeln. Lieber noch radebreche ich in einem sehr ungefähren italienisch, für mich ist das einfach, ich hoffe, dem Gegenüber geht es genau so.
Wenn ich heute an dieses Essen, diese Offenbarung zurück denke, merke ich, ich bin unterdessen schon viiieeel weiter. Ich brauche einen stärkeren Kick.
Hotel Gamper, Bellinzona
Den hatte ich wie gesagt bei den Spaghetti Frutta Di Mare im Hotel Gamper, Bellinzona. Hin und weg war ich. Sie sind auch sehr gut, es gibt Viel, viele Moules und Vongole, eine sämige Tomatensauce klebt über dem Ganzen, alles ist sehr würzig. Drei Käfer waren auch drin, einer davon richtig gross, sogar die Zangen waren ein wenig essbar.
Dass das Brot altbacken war, der Wein sauer, die Rechnung eher hoch, das hat mich alles nicht gestört. Wobei, was heisst schon eher hoch? Um die 50 Franken waren es, mit einem anständig grossen Mischsalat, einem Grappa zum Abschluss – nicht ungewöhnlich, dass man hier soviel für ein Nachtessen ausgibt. Dafür isst man dann auch wirklich zufrieden – es sei denn, man sei verwöhnt.
Terrazza Da Toni, Bellinzona
Die Verwöhnung setzte ein, als ich die Terrazza Da Toni entdeckte. Eine relativ simple Beiz, winzige Küche, deren Tür zur grossen Terrasse aber immer geöffnet ist, viele Stammgäste, die ein „Salve Toni“ in den engen Raum hineinrufen, sich in grösseren und kleineren Gruppen an die gemütlichen Terrassentische setzen, und Zack, schon wird vom freundlichen, manchmal gar herzlichen Personal aufgedeckt. Zu Mittag gibts entweder die Pizza des Tages, mit 3 dl Getränk nur 15 Franken. Nur, weil Toni macht wahrscheinlich die beste Pizza am Ort, in seiner kleinen Küche, magisch.
Ich hatte jeweils immer das Menü, 19 Franken für zwei Entrées, Teigwaren und Salat, einen Hauptgang, manchmal währschaft, wie das Foto hier zeigt, da drehe ich durch. Das Dessert schaffe ich nicht immer, manchmal aber ist auch das Dessert unglaublich fein, so letzthin Vanilleglacé mit heisser Aprikosencrème!
Nachdem ich auf tripadvisor.fr über die Pizzen bei Toni gelesen hatte, musste ich sie versuchen. Am Donnerstag abend wars, als wäre es erst vor 5 Minuten gewesen. Ich hatte die beste Pizza meines langen Lebens.
Das erste mal, dass ich eine wirklich genau richtig gebackene Calzone sehe. Und die Füllung nicht einfach lieblos nach dem Motto „Masse Masse Masse der Kunde merkt ja eh nix, Calzone-Esser sind ja nur an der Menge interessiert“.
Wenn ich das noch ausführen darf: Wie oft schon war ich nach dem Aufschneider der meist doch eher blässlichen Calzone enttäuscht, darin vor allem einen grossen grossen Haufen billigen Schinkens mit Büchsenchampignons und zähem Käse vorzufinden. Sicher, ab und zu mit einem Ei, meistens mit zwei, drei Sardellen, die einzige Zutat, die dem Haufen Geschmack verleiht.
Bei Toni hingegen: Die Füllung gerade richtig, das meiste ist heisse Luft. Messer reinstecken, tief einatmen, schwärmen. Bei 40 cm Länge genug auch für den grössten Hunger. Glücklicherweise musste ich an dem Tag das Mittagessen überspringen, jetzt haben die bei Toni das Gefühl, ich sei ein grossartiger Esser, ein anständiger Mann eben, ein guter Charakter. Nur ein kleiner Rest ist übrig geblieben. Foto siehe unten. Ob ich das je wieder schaffe? Denn bald bald bald werde ich wieder auf der Terrazza sitzen, so ca. in einer halben Stunde!
Deshalb noch schnell: Fazit
Was mich vor drei, vier Wochen noch zu lauten Jubelarien verleitet hätte, prüfe ich heute mit kritischem Auge: ein in Sauce ertränkter Salat, eine nur schon leicht gummige Pizza, eine nur schon ein wenig dubiose Fleischsauce, gewöhnliche Golden Frites – schon ist das Restaurant auf meiner Negativliste, es wird höchstens noch aufgesucht, wenn Toni geschlossen hat. Was leider an den Abenden unter der Woche der Fall ist.
So, aber nun muss ich husch husch hin zur Terrazza. Ich freue mich schon riesig. Bin auf Entzug. Glaubzmer.